ampnet_photo_20140723_084223Es ging ihnen schlecht in den 1970ern, den Cabrios und Roadstern. Ölkrise und nach hundertprozentiger Sicherheit strebende Amerikaner machten ihnen das Leben zunehmend schwerer und schließlich beinahe unmöglich. Zu hoher Spritverbrauch und vor allem mangelnder Insassenschutz bei Überschlägen, so lauteten die Anklagepunkte. Auf der Strecke blieben nicht nur knackige britische Roadster, wie sie dereinst von Lotus oder Triumph gebaut wurden, es erwischte auch hochherrschaftliche Cabrios der Oberklasse wie de offene Baureihe von Jaguar. Nur wenige, meist in Kleinserie gefertigte Modelle, hielten das Fähnlein der „unbedachten“ Spaßmobile hoch.

Kantiger Youngtimer

Mit Erscheinen des VW Golf Cabrios 1979 kam wieder ein wenig frischer Wind in die Blechkarossen. Fast jeder Hersteller bot, so nach und nach, wieder Cabrios an. Der Mazda MX-5 löste 1989 einen Roadster-Boom aus. Der Drang nach Ausbruch aus der automobilen Uniformität bescherte uns nicht nur Geländewagen und eine steigende Nachfrage nach Oldtimern, sondern auch den Cabrios beachtliche Zuwachsraten. Wichtiger als imposante Höchstgeschwindigkeit oder PS-Zahlen, als günstiger Verbrauch und toller cw-Wert, als nachträgliche „Aufrüstung“ biederer Familienkutschen mit Spoilerwerk und Breitreifen war – und ist – den Cabrio-Fahrern, den Individualisten unter den Autobesitzern, das offene Vergnügen.

Besonders viel davon bot seinerzeit ein im deutschsprachigen Raum beinahe unbekanntes Fahrzeug, das bereits seit fünf Jahren auf dem Markt war: der Reliant Scimitar SS 1. Als eines der letzten kompakten zweisitzigen Cabrios der guten, alten britischen Machart zählte es bis heute zu den Exoten auf den (Land-)Straßen. Die Wahrscheinlichkeit, einem der sportlichen Zweisitzer bei einer Ausfahrt zu begegnen, ist ähnlich gering wie die Chance, dass einem mitten im Atlantik ein Scheunentor auf den Kopf fällt. Deshalb kannte – und kennt – ihn auch so gut wie niemand. Und die wenigen Zeitgenossen, die am Bug des parkenden Cabrios das Emblem mit dem Krummschwert und dem winzig kleinen Schriftzug „Reliant“ entdecken, werden davon dann auch nicht wirklich schlauer. Um erklärende Worte kommt man – übrigens selbst bei Auto-Enthusiasten – kaum herum. Und beginnt das Gespräch dann vielleicht beim Reiz des Einzelstücks, über den der Scimitar auf dem Kontinent zweifellos verfügt.

Der Scimitar SS 1 mit seiner charakteristischen Keilform debütierte bereits 1984 auf der Motor Show in Birmingham – der viel versprechenden Zusatz SS steht für Small Sportscar (kleiner Sportwagen). Zu Beginn der 1990er Jahre wurde der Scimitar in drei verschiedenen Motorvarianten angeboten. Der 1400er und der 1600er wurden von Ford-Maschinen mit 75 PS bzw. 95 PS, bekannt aus Fiesta und Escort, angetrieben. Spitzenmodell war der 1800 TI mit Nissan- Turbomotor und 135 PS bzw. 122 PS (in der Version mit Katalysator). Die Vorteile der fremden „Schrittmacher“ lagen auf der Hand: Sie waren preiswerter als eine Eigenentwicklung und konnten bei jedem Ford- oder Nissan-Händler gewartet werden.

Weniger praktisch, aber zeittypisch: Die versenkbaren Schlafaugen-Scheinwerfer und der Einarm-Scheibenwischer. Solches Beiwerk sorgt mit dafür, dass der Brite selten auf Anhieb gefällt – aber er gewinnt, je länger man sich mit ihm befasst. Und, egal ob hübsch oder hässlich, formale Eigenständigkeit ist in der Zeit automobiler Massenware ja auch schon etwas Wert. (ampnet/gp)

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